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FAMILIENMAGAZIN OLDENBURG  2 | 2020




                                            Ich nenne das „Worst-Case-Szenario“.   Und darum geht es ja jetzt. Viele
                                            Das heißt, Sie fordern das Kind auf,   werden mit dem Virus in Kontakt
                                            sich den allerschlimmsten Fall auszu-  kommen, das können wir nicht ver-
                                            malen, der passieren kann. Und dann   hindern. Aber für unsere eigene Im-
                                            überlegen Sie gemeinsam mit ihm, was   munabwehr können wir etwas tun:
                                            sie dann tun werden. Wenn das Kind
                                            ein Gefühl dafür bekommt, dass es   Unsere Aufmerksamkeit auf das len-
                                            auch im allerschlimmsten Fall Hand-  ken, was JETZT gut ist, was uns auch
                                            lungsmöglichkeiten und Lösungen     in dieser Krisenzeit alles möglich ist
                                            geben wird, gibt ihm das Sicherheit.  und wofür wir dankbar sein können.

                                            Nachdem – aber bitte wirklich erst   Lassen Sie uns den Fokus nicht auf
                                            NACHDEM Sie den Ängsten diesen      das legen, was gerade nicht mög-
                                            Raum gegeben haben, lenken Sie      lich ist, sondern die Chancen nutzen,
       Zur Beantwortung und als Ratgeberin   die Aufmerksamkeit zurück ins Hier   die diese Zeit auch mit sich bringt.
       befragen wir Sabine Tewes, Ärztin und   und Jetzt.
       Familientherapeutin in Oldenburg                                         Wir können Zeit als Familie verbringen,
                                            Was ist JETZT in                    miteinander sprechen und spielen.
                                            diesem Moment?                      Gemeinsam etwas Gesundes kochen.
                                                                                Zusammen einen Waldspaziergang ma-
                                                                                chen. Alles, was Freude macht, ist gut!
       jähriges Kind hat sicher andere Ängste   Viele von uns sind gesund. Wir haben
       als ein elfjähriges. Wenn das Kind das   eine warme Wohnung. Wir haben zu   Freude stärkt
       ausführlich erzählen kann, fühlt es sich   essen. Wir haben eine Familie. Wir
       verstanden und angenommen. Und das   haben Spielzeug. Wir können an die   das Immunsystem!
       ist eigentlich schon das Wichtigste,   frische Luft gehen, im Garten spielen
       was sie für Ihr Kind in einer Krise tun   oder spazieren gehen. Schulen Sie den   Geben Sie Ihren Kindern das Gefühl,
       können! Und wenn Sie ihm dann noch   Blick der Kinder für das, was JETZT   dass wir alle aktiv etwas TUN können,
       signalisieren, egal was passiert, ich bin   gut ist. Und schulen sie Dankbarkeit.   um unser Immunsystem zu stärken.
       da, haben Sie schon sehr viel getan.  Gerade eine Krise ist eine gute Gele-  Das fördert das Vertrauen der Kinder,
                                            genheit für uns, Dankbarkeit zu erleben   dass unser Körper auch eine Infektion
       In einer Krise nicht alleine sein    und zu fördern. Vielleicht führen Sie   gut überstehen kann! Und es fördert
       mit seinen Gefühlen ist das Beste    innerhalb der Familie ein Dankbar-  das sichere Gefühl: Ich bin nicht allein.
       was einem Kind und auch jedem        keitsritual ein. Jeden Abend kommt die   Wir zusammen als Familie gehen durch
       Erwachsenen passieren kann!          ganze Familie zusammen und jeder    diese besondere Zeit.
                                            sagt, wofür er heute dankbar war.
       Gut und richtig ist es auch, dem Kind                                    PS: All das hilft übrigens auch uns
       (altersgerecht und angemessen) offen   Dankbarkeit stärkt                Erwachsenen, um in diesen Zeiten der
       mitzuteilen, dass Sie selber auch    das Immunsystem!                    Unsicherheit klar und im jetzigen Mo-
       Ängste haben und dass das okay ist.                                      ment zu bleiben …
       Ängste gehören zum Leben dazu.

       Wenn Sie noch mehr tun wol-
       len, gibt es zwei Möglichkeiten.

       Sie können einmal mit dem Kind einen
       sogenannten Realitätscheck durchfüh-
       ren. Das heißt, Sie überprüfen mit dem
       Kind, wie wahrscheinlich es ist, dass
       bestimmte Ängste sich bewahrheiten.
       Da dürfen Sie dann altersentspre-
       chend, vielleicht auch gemeinsam mit
       dem Kind, nach Zahlen und Fakten
       suchen. Es ist besser mit dem Kind
       diese Wahrscheinlichkeitsrechnung
       durzuführen als pauschal zu sagen,
       uns wird schon nichts passieren.                                                                          © iStock.com/Wavebreakmedia
       Eine zweite Möglichkeit, dem
       Kind die Ängste zu nehmen, klingt
       vielleicht etwas paradox.




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